- [Open Access] Corpus der Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts (CE-BVerfG)
- [Open Access] Rechtsprechung des BVerfG ab 1998 als PDF-Dateien
Gedanken zur Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts Link to heading
Am 24. Juli 2024 habe ich den Corpus der Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts (CE-BVerfG) aktualisiert. Das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) bedarf wohl keiner besonderen Einführung, aber für den Fall der Fälle hat Wikipedia einen tollen Artikel dazu.
Kurz: das BVerfG ist das höchste und wohl wichtigste Gericht der Bundesrepublik Deutschland.
Wie schon zuvor in den Beiträgen zur amtlichen Sammlung des Bundesverfassungsgerichts und bei der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (BVerwG) möchte ich ein paar Diagramme zeigen und habe jeweils einige Gedanken dazu aufgeschrieben.
Inhaltsübersicht Link to heading
Update des großen BVerfG-Datensatzes Link to heading
Zunächst aber ein paar Worte zum aktuellen Update. Die gesamte Liste der Änderungen findet sich wie immer im Changelog. Neben vielen kleinen technischen Verbesserungen gibt es auch einige wichtige Neuerungen:
- Neue Rechtsprechungsdaten
- Änderung der Source Code Lizenz zu GPLv3
- Neue Netzwerkdaten
Neue Rechtsprechungsdaten Link to heading
Der Datensatz enthält nun alle 8.949 Urteile und Beschlüsse des BVerfG, die es bis zum 24. Juli 2024 in seiner amtlichen Datenbank veröffentlicht hat.
Dazu gleich noch mehr im Detail, aber es freut mich, dass das Gericht immer mehr alte Entscheidungen online stellt.
Änderung der Lizenz für den Source Code Link to heading
Der Source Code steht ab diesem Update unter der GNU General Public License v3 (GPLv3). Das ist Teil meiner neuen Herangehensweise an die Lizenzierung von Software vor dem Hintergrund der aggressiven Vereinnahmung von Inhalten durch KI-Unternehmen.
Ich habe in diesem Essay über den Bruch des Gesellschaftsvertrags im Internet mehr über meine Beweggründe geschrieben.
Neues Feature: Zitationsnetzwerk Link to heading
Ganz besonders freue ich mich über ein neues Feature im Datensatz: das Zitationsnetzwerk des BVerfG.
Der Datensatz enthält nun eine spezialisierte Variante, die Zitate des BVerfG zu seiner eigenen Rechtsprechung aus den Entscheidungstexten extrahiert und in strukturierter Form aufbereitet.
Das Zitationsnetzwerk enthält im Update 2024-07-24 insgesamt ca. 163.000 Zitate zwischen ca. 14.000 Entscheidungen des BVerfG.
Diesem neuen Netzwerk-Feature habe ich einen eigenen Blog-Beitrag gewidmet.
Workflow Link to heading
Der Workflow des Datensatzes orientiert sich an funktionaler Programmierung. Soweit wie möglich werden nur reine Funktionen verwendet, d.h. ein Input wird zu einem Output transformiert ohne sonstige Effekte auf das Gesamtsystem zu verursachen. Die einzige Ausnahme sind Funktionen, die Dateien einlesen oder ausgeben, weil der Workflow viele PDF-Dateien verarbeiten muss und ZIP-Archive das finale Ergebnis sind.
Jeder der weißen Punkte im Diagramm ist ein Datenobjekt (in der Regel eine Tabelle oder ein Vektor), das durch eine eigene Funktion in einem selbständigen R-Prozess erstellt wird. Die roten Verbindungslinien zeigen die Abhängigkeiten zwischen diesen Objekten. Man liest das Diagramm von oben nach unten. Man kann die Linien als “Datenfluss” interpretieren.
Grob lässt sich der Workflow in folgende Abschnitte aufteilen:
- Einlesen vorhandener Daten
- Erstellung einer Download-Tabelle mit Metadaten
- Herunterladen der Entscheidungen
- Transformation der Entscheidungen von PDF zu TXT zu R-Objekt
- Extraktion und Hinzufügen weiterer Variablen
- Vereinigung aller Ergebnisse und automatische Qualitätsprüfung
- Erstellung von Varianten (nur Metadaten, segmentierte Entscheidungen, Netzwerkanalyse)
- Durchführung und Dokumentation der Qualitätssicherung
- Verpacken der Ergebnisse
Der Compilation Report enthält die technische Definition des Workflows mit Kommentierungen.
Datengrundlage und Einschränkungen Link to heading
Bevor wir zu den Diagrammen kommen, die üblichen Statistik-AGB. Statistik trifft Aussagen über Daten, aber zunächst eben nur über vorhandene Daten. Verallgemeinerungen sind unter bestimmten Bedingungen möglich, aber dabei müssen wir vorsichtig sein.
- Die Diagramme sind primär deskriptive Statistiken, die den Inhalt des Datensatzes abbilden; sie sind nicht auf eine bestimmte Forschungsfrage zugeschnitten, sondern sollen den Inhalt und die Qualität des Datensatzes laufend überwachen.
- Datengrundlage sind die offiziell in der amtlichen Datenbank am Stichtag 24. Juli 2024 online veröffentlichten Entscheidungen (N = 8.949) des BVerfG.
- Zeitlich sind die Daten für die Jahre 1998–2023 vollständig. Für 2024 sind sie logischerweise unvollständig, weil der Stichtag im Juli liegt. Entscheidungen früherer Jahre sind enthalten, bei manchen Jahren mehr, bei manchen weniger. Dazu gleich mehr.
- Dieser Datensatz sammelt nur Entscheidungen, die in der amtlichen Datenbank des BVerfG veröffentlicht sind. Das bedeutet alle begründeten Entscheidungen des Gerichts, aber nicht solche ohne Begründung. Entscheidungen ohne Begründung sind bei Obergerichten die ganz überwiegende Regel, d.h. es kann nicht ohne weiteres auf die gesamte Tätigkeit des Gerichts geschlossen werden (kein Schluss von Stichprobe auf Grundgesamtheit möglich!).
Weitere Details und Hinweise zur Benutzung des Datensatzes sind im Codebook dokumentiert.1
Entscheidungsvolumen des Gerichts Link to heading
Das erste und wichtigste Diagramm bildet die zeitliche Abdeckung des Datensatzes ab. Jede Entscheidung wird an einem konkreten Datum verkündet und dieses Datum ist im Datensatz enthalten. Das Jahr der Verkündung ist im Datensatz als “Entscheidungsjahr” hinterlegt.
Durch dieses Diagramm lässt sich zunächst der Umfang des Datensatzes (und damit der Inhalt der Datenbank am Stichtag) etwas näher aufschlüsseln. Es lassen sich daraus aber auch inhaltliche Schlüsse ziehen.
Wir sehen deutlich, dass der Löwenanteil der veröffentlichten Entscheidungen auf die Jahre ab 1998 entfällt, mit starken Schwankungen innerhalb dieses Zeitraums. Veröffentlicht wurden zwischen etwa 200 und 500 Entscheidungen pro Jahr. Für die Jahre 1992 bis 1997 sieht man, wie das Gericht langsam bemüht ist ältere Entscheidungen online zu stellen.
Beschämend ist aber der Abschnitt von 1951 bis 1991: praktisch nichts ist aus diesen Jahren wurde vom BVerfG selbst in der amtlichen Datenbank kostenlos veröffentlicht. Das bedeutet, dass man einen Großteil der Verfassungsgeschichte der Bundesrepublik Deutschland weiterhin bei privaten Verlagen kommerziell erwerben muss. Vor dem Internet mag das die am wenigsten schlechte Möglichkeit gewesen sein, im Jahr 2024 ist es aber ein trauriges Symptom der langjährigen Privatisierung des Rechtsstaates.
Spruchkörper nach Aktenzeichen Link to heading
Die Spruchkörper des Gerichts lassen sich aus verschiedenen Perspektiven betrachten. Die große Unterscheidung sind natürlich die beiden Zwillingssenate, aber aus dem Personal der Senate werden in verschiedenen ständigen und nicht-ständigen Formationen unterschiedliche Spruchkörpertypen (normale Kammern, Plenum, Beschwerdekammer) gebildet.
Zunächst die große Entscheidung nach Senaten: alle Entscheidungen im Datensatz sind über ihr Aktenzeichen entweder dem 1. oder dem 2. Senat zugeordnet, bzw. haben keine Senatszuordnung (“NA”), falls es sich um Entscheidungen des Plenums bzw. der Beschwerdekammer handelt.
Die Entscheidungen der normalen Kammern sind im Aktenzeichen ihrem Ursprungssenat zugeordnet.
Das Plenum wird aus allen 16 Richter:innen gebildet, weshalb eine Senatszuordnung nicht sinnvoll ist. Die Beschwerdekammer wird aus vier Richter:innen beider Senate gebildet, weshalb ebenfalls keine Senatszuordnung vorgenommen werden kann.
Aus dem Diagramm sehen wir, dass beide Senate ungefähr gleich produktiv sind, aber für den 1. Senat mehr Entscheidungen verfügbar sind. Nur sehr wenige Entscheidungen haben keine Senatszuordnung, denn Entscheidungen von Plenum und Beschwerdekammer sind allgemein selten.
Spruchkörper nach Typ Link to heading
Hier werden die Entscheidungen nach Typ des Spruchkörpers aufgeschlüsselt:
- [K] normale Kammer (3 Richter:innen)
- [S] Senat (8 Richter:innen)
- [B] Beschwerdekammer (4 Richter:innen, zuständig für Verzögerungsrügen)
- [P] Plenum (16 Richter:innen)
Die Behandlung durch unterschiedliche Spruchkörper dauert unterschiedlich lange und wird unter anderem durch verfassungsrechtliche Bedeutung, Rechercheaufwand, Detailgrad des Textes, Anzahl der Verfahrensschrittte und Anzahl der mitwirkenden Richter:innen beeinflusst (Lübbe-Wolff 2022, 32–42). Kammerentscheidungen (3 Richter:innen) sind schneller als Senatsentscheidungen (8 Richter:innen) und Senatsentscheidungen sind schneller als Plenarentscheidungen (16 Richter:innen).
Verfahren mit neuen verfassungsrechtliche Fragen werden von Senaten behandelt, solche mit bekannten Problemen von den Kammern. Entsprechend höher sind Rechercheaufwand und Detailgrad bei Texten von Senatsentscheidungen.
Kammerentscheidungen ergehen in der Regel in einem einphasigen Verfahren, bei dem Votum (das Gutachten mit Optionen) und Entscheidungsvorschlag (das Ergebnis) gleichzeitig erstellt werden und nur ausnahmsweise eine Beratung stattfindet.
Das zweiphasige Verfahren in den Senaten durchläuft in Phase 1 eine intensive Sachberatung auf Grundlage eines schriftlichen Votums, in dem die wesentlichen Fragen im Senat beraten und entschieden werden (“Sachberatung”). In Phase 2 erstellt der/die Berichterstatter:in einen Entscheidungsvorschlag auf Grundlage der Ergebnisse der Sachberatung, integriert schriftliche Änderungsvorschläge der Kolleg:innen und im Anschluss wird dieser Text mit Alternativen im Senat beraten und finalisiert (“Leseberatung”). Eine etwaige mündliche Verhandlung findet im Laufe der ersten Beratungsphase statt. Mehr zu allen diesen Punkten bei Lübbe-Wolff (2022, 32–42).
Die in diesem Abschnitt zusammengefassten Details zu den Verfahren innerhalb der Spruchkörper des BVerfG stammen aus diesem spannenden Buch:
Lübbe-Wolff, Gertrude. 2022. “Beratungskulturen: Wie Verfassungsgerichte arbeiten, und wovon es abhängt, ob sie integrieren oder polarisieren” (KAS 2022)
Das Buch ist Open Access verfügbar und eine absolute Empfehlung für alle, die mehr über das Innenleben von Verfassungsgerichten erfahren wollen!
Kammerentscheidungen sind ganz klar die häufigsten Entscheidungen des BVerfG. In dieser Besetzung handelt das Gericht vergleichsweise schnell und sichert seine Funktionsfähigkeit.
Senatsentscheidungen ergehen in besonders wichtigen Verfahren mit verfassungsrechtlicher Tragweite. Trotz der großen Besetzung mit 8 Richter:innen ist die Anzahl der Entscheidungen im Verhältnis zu den Kammern relativ hoch.
Normalerweise nimmt der Gesprächsbedarf mit jeder Person (gefühlt) exponentiell zu. Die Abstimmung zwischen 8 meinungsstarken Personen ist absolut nicht einfach, aber sie scheint dem Gericht zu gelingen, besonders im Verhältnis zu den Arbeitsergebnissen der Kammern.
Entscheidungen des Plenums und der Beschwerdekammer kommen in der Praxis kaum vor und machen dementsprechend auch nur einen sehr kleinen Teil der Veröffentlichungen aus.
Typ der Entscheidungen Link to heading
Die Frage nach dem dominanten Typ der Entscheidungen schließt nahtlos an die Analyse des Typs der Spruchkörper an. Warum?
Die unterschiedliche Behandlung durch Kammer, Senat oder Plenum ist für Arbeitsaufwand und Verfahrensdauer ganz erheblich.
Es gibt aber noch eine Stellschraube für Kammer und Senat: Beschluss oder Urteil. Beschlüsse ergehen ohne mündliche Verhandlung, Urteile erst nach mündlicher Verhandlung. Logischerweise sind Urteile daher mit drastisch mehr Aufwand verbunden als Beschlüsse.
Daher sieht man in diesem Diagramm, dass Beschlüsse die absolut dominante Form unter den begründeten Entscheidungen des BVerfG sind. Egal ob Kammer oder Senat, ohne mündliche Verhandlung verhandelt es sich schneller.
Verfahrensarten Link to heading
Liste aller Registerzeichen
Fobbe, S. (2021). Aktenzeichen der Bundesrepublik Deutschland (AZ-BRD) (1.0.1) [Data set]. Zenodo. https://doi.org/10.5281/zenodo.4569564
Persönlich am spannendsten finde ich das Diagramm der Entscheidungen je Registerzeichen. Registerzeichen sind Kürzel für bestimmte Verfahrensarten und beim BVerfG sind diese besonders aussagekräftig (anders als z.B. beim BGH, wo fast alles nur “Revision” ist).
Ich habe zur Erklärung des Diagramms die 10 häufigsten Registerzeichen mit der Beschreibung ihrer Verfahrensart aufgeschrieben und nach Anzahl der Entscheidungen sortiert. Das Diagramm ist logarithmisch skaliert (in 10er Potenzen), weshalb diese Aufteilung visuell besonders gut sichtbar ist. Hier ist das Ranking:
Die 10 häufigsten Verfahrensarten Link to heading
1000 oder mehr Entscheidungen Link to heading
- [BvR] Verfassungsbeschwerden; Kommunalverfassungsbeschwerden
100 oder mehr Entscheidungen Link to heading
- [BvQ] Einstweilige Anordnungen
- [BvL] Konkrete Normenkontrolle
- [BvC] Wahlprüfungsverfahren
- [BvE] Organstreitverfahren
10 oder mehr Entscheidungen Link to heading
- [BvF] Abstrakte Normenkontrolle
- [BvB] Verfassungswidrigkeit von Parteien
- [BvK] Landesverfassungsstreitigkeiten
- [BvG] Bund-Länder-Streitigkeiten
- [Vz] Verzögerungsbeschwerde
Gedanken zu den häufigsten Verfahrensarten Link to heading
Verhältnis Bürger-Staat Link to heading
Natürlich dominieren die Verfassungsbeschwerden alles. Und das ist gut so! Es zeigt, dass das BVerfG für einfache Bürger:innen hervorragend erreichbar ist und das der Schwerpunkt der Arbeit des Gerichts im Verhältnis Bürger-zu-Staat liegt. Bei anderen Höchstgerichten wie z.B. dem US Supreme Court wäre so eine Nahbarkeit kaum denkbar.
Man sollte nicht unterschlagen, dass die statistische Erfolgsquote von Verfassungsbeschwerden meist zwischen ca. 1-2% liegt, aber die die vom Gericht zur näheren Prüfung und Begründung angenommen werden dominieren dessen Praxis.
Reibungsloser Ablauf von Rechtsstaat und Demokratie Link to heading
Einstweilige Anordnungen, konkrete Normenkontrollen (d.h. Vorlagen zur Prüfung der Verfassungswidrigkeit von Gesetzen durch Richter:innen unterer Instanzen), Wahlprüfungsverfahren und Organstreitverfahren (d.h. wenn sich die Bundesorgane kabbeln) bilden die nächst häufigere Gruppe an Entscheidungen.
Es ist ebenfalls gut zu sehen, wie hoch das BVerfG die Dringlichkeit wichtiger Angelegenheiten im Verfassungsstaat gewichtet und sich um zeitnahe vorläufige Entscheidungen bemüht. Im einstweiligen Rechtsschutz sind die zweitmeisten Entscheidungen ergangen, knapp hinter den Verfassungsbeschwerden. Diese präventive Herangehensweise an schnellen Rechtsschutz ist deutlich stärker ausgeprägt als die nachträgliche Aufarbeitung, wie wir in einer Gesamtbetrachtung sehen.
Diese Gruppe an Registerzeichen ist interessant, weil es (abgesehen von den einstweiligen Verfahren) hier mehr um die horizontale und vertikale Verschränkung der Gewalten im Staatsaufbau und die Gewährleistung eines reibungslosen Ablaufs von Rechtsstaat (konkrete Normenkontrolle) und Demokratie (Wahlprüfung und Organstreit) geht.
Minderheitenrechte und Bundesstaat Link to heading
In der letzten Gruppe an Entscheidungen geht es um Minderheitenrechte, den Bundesstaat und Verzögerungen. Zu den Minderheitenrechten sollte man thematisch auf jeden Fall noch Wahlprüfungsverfahren (wegen Beschwerden von Parteien, die zur Wahl nicht anerkannt wurden) und Organstreitverfahren (wegen der Klagebefugnis von Organteilen) rechnen. Bei einer weniger statistischen Betrachtung wäre es sinnvoll aus diesen vier Verfahrensarten eine thematische Gruppe zu bilden.
Über die abstrakte Normenkontrolle wollen oft politische Minderheiten im Bund ein Gesetz zu Fall bringen, dass sie ablehnen, aber für dessen Abschaffung oder Verhinderung ihnen die Durchsetzungskraft im Parlament fehlt.2 Man könnte es auch als “politische Normenkontrolle” bezeichnen.3 Weil es sich hier um eine Durchbrechung des Demokratieprinzips handelt, ist allein das BVerfG zur Entscheidung über die Verfassungswidrigkeit von Gesetzen befugt.
Das Parteienprivileg des Art. 21 Abs. 2, 3 und 4 Grundgesetz schützt den politischen Wettbewerb indem es die Entscheidung über das Verbot von Parteien und deren Ausschluss von der Parteienfinanzierung wegen Verfassungswidrigkeit allein dem BVerfG überlässt. Im Rahmen des Parteiverbotsverfahrens sichert das BVerfG nicht nur die Verfassung vor Verfassungsfeinden, es schützt auch die Rechte unliebsamer politischer Minderheiten vor der Mehrheit.
Bei Landesverfassungsstreitigkeiten und Bund-Länder-Streitigkeiten wird das BVerfG anders als bei der überwiegenden Mehrheit seiner Verfahren nicht allein auf Bundesebene tätig, sondern als Schiedsrichter im Gefüge des Bundesstaats. Diese Verfahren sind aber äußerst selten, mit kaum mehr als 10 veröffentlichten Entscheidungen.
Verzögerungsrügen Link to heading
Die Entscheidungen zu Verzögerungsrügen schaffen es zwar noch in die 10 häufigsten Registerzeichen, sind aber kein Ruhmesblatt für das BVerfG. Ich habe mir in einem anderen Artikel die Verfahrensdauer des BVerfG und dessen nachträgliche Aufarbeitung angesehen. Es ist schade, dass das Gericht erfolgte Verzögerungen nicht mit dem gleichen Eifer angeht wie mögliche Verzögerungen über den einstweiligen Rechtsschutz.
Präsident:innen und Vize-Präsident:innen Link to heading
Präsident:innen und Vize-Präsident:innen des BVerfG üben vor allem innerhalb ihres eigenen Senates den meisten Einfluss aus, da sie durch das Amt ebenfalls Senatsvorsitzende werden. Es ist allerdings eine spannende Frage, ob die (Vize-)Präsidentschaft auch auf den jeweils anderen Senat einen inhaltlichen, organisatorischen oder anderweitigen Einfluss ausübt.
Jedenfalls wird das Gericht durch seine Spitze in der Öffentlichkeit repräsentiert, eine Rolle die in den letzten Jahren immer stärker zu Geltung kommt. Die Verbindung aus Öffentlichkeitsarbeit und wichtigen Entscheidungen (bezogen auf die amtliche Sammlung) ist ebenfalls für weitere Forschung interessant.
Die meisten Entscheidungen sind unter der Ägide der Präsident:innen Voßkuhle und Papier ergangen, gefolgt von Limbach. Die Entscheidungen unter dem aktuellen Präsidenten Harbarth nehmen aber stark zu.
Bei den Vize-Präsident:innen steht Kirchhof unangefochten an der Spitze der Anzahl Entscheidungen pro Amtszeit, gefolgt von Hassemer und Papier. Es ist bemerkenswert, dass Papier unter den Vize-Präsident:innen an 3. Stelle steht, als auch als Präsident an 2. Stelle. Wenn man die Amtszeiten als Präsident und Vize-Präsident nach einem Blick in den Datensatz zusammenrechnet, ergeben sich für die Ägide von Papier 4.168 Entscheidungen in beiden Ämtern, verglichen mit 3.810 Entscheidungen für Voßkuhles beide Amtszeiten.
Länge der Entscheidungen Link to heading
Die Anzahl Tokens bezieht sich hier auf die online gestellte PDF-Fassung inklusive aller Sondervoten und automatisierter Beigaben (z.B. Zitiervorschlag). Tokens sind beliebige Zeichenfolgen, getrennt durch Whitespace (Leerzeichen, Zeilenumbruch usw.), was in der Regel einem Wort entspricht, aber nicht immer.
Wir sehen im Diagramm zwei deutliche Maxima, einmal bei ca. 1.000 Tokens und einmal bei ca. 3.000 Tokens. Vermutlich handelt es sich hier um zwei Typen von Entscheidungen, vielleicht Kammer und Senat? Bei ca. 300 Wörtern gibt es ebenfalls einen leichten Schwerpunkt, das dürften Kurzbegründungen sein.
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Ein “Codebook” ist eine Anleitung bzw. ein Benutzerhandbuch für einen Datensatz. ↩︎
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Die Bundesregierung kann zwar auch einen Antrag stellen, aber meist sind es doch eher Minderheiten im Bundestag, die eine abstrakte Normenkontrolle anstrengen. ↩︎
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Das hat bestimmt schon jemand vor mir geschrieben, ich freue mich über Quellenhinweise! ↩︎